grünes Blatt in einer Hand

Zurück zur Übersicht

Verzicht - die Erbringung eines heilsamen Opfers

Manche Menschen verzichten für eine gewisse Zeit auf etwas. Irgendetwas.
Einige auf Süßigkeiten, andere auf Alkohol, eine Freundin auf Soziale Medien, der Nachbar auf Online-Einkäufe und die Tante auf ihre Couch: sie hat sich nämlich für einen Yoga-Kurs angemeldet. In sämtlichen jahrtausendealten spirituellen Praxen wird der regelmäßige Verzicht auf Vergnügen mit der Erbringung eines heilsamen Opfers gleichgesetzt. Warum?

Der Anthropologe Lionel Tiger beispielsweise kombiniert, dass „Vergnügen“ in grauer Vorzeit zu unserem Überleben beitrug. Nur wer gern in der Gruppe lebte und extrovertiert war, konnte überleben und eine/n Partner/in finden um sich fortzupflanzen. Der Neurologe Melvin Konner beschreibt den Drang unaufhörlich nach neuen Erfüllungen zu suchen ganz sachlich: jener Teil des Gehirns, der für die Motivation zuständig ist, ist ein Areal welches chronische Unzufriedenheit erzeugt – eine vage Mischung aus Angst und Lust, das heißt „man will ständig mehr vom Guten und weniger vom Schlechten“.

Verhaltensweisen, die uns Vergnügen bereiten, können aber für das Individuum und manchmal auch für dessen Umfeld gefährlich werden, wenn man sie übertreibt. Unsere Bedürfnisse kennen keine natürliche Grenze, das Gehirn sagt nie „stop“, unsere Denkprozesse sind durch Chaos gekennzeichnet. Doch unser Verstand braucht Ruhe und geordnete Informationen um in Ordnung zu bleiben. Ordnung funktioniert durch Geben und Nehmen, der Ausgleich hält jedes System im Gleichgewicht.

Bedürfnisbefriedigung und „Schmerz“ (= Verzicht) funktionieren im Gehirn wie eine Waage. Ein zu großes Maß an Bedürfnisbefriedigung und/oder ein zu großes Maß an Schmerz-Vermeidung führen unweigerlich zu Schmerz. Verlangen erzeugt Verlangen, ähnlich einem Zwang, das Ergebnis sind schädliche Abhängigkeiten, sowohl physisch als auch psychisch. Belohnt man sich nur hin und wieder, wird selbstmotiviertes Verhalten erhöht und Glückshormone können so auf einem langfristig gesunden Level freigesetzt werden.

Durch ein wenig selbst herbeigeführten „Schmerz“ vermehren sich Wohlfühl-Emotionen und Resilienz wird möglich. Beispiele für Schmerz/Verzicht in unserer westlichen Welt:

  • Anstrengung durch körperliche Bewegung
  • gesunde Ernährung, Verzicht auf industrielle Ernährung
  • Fastenkuren oder Ernährung via Intervall (ärztlich abgeklärt)
  • Schmerz durch Akupunktur-Nadeln oder Massagen, Kälteeinfluss durch Kneipen
  • 1 Stunde pro Tag ohne Agenda
  • strikte Regeln für den Umgang mit Online-Medien
    zB. ständige Push-up-Benachrichtigungen am Handy lähmen die Glückshormonausschüttung, vgl. Dr. Anna Lembke „Die Dopamin-Nation“, Unimedica Verlag
  • Kontrolle von TV-Konsum
    ein durchschnittliches Kind sieht heute über 70.000 Morde im Fernsehen, bevor es das Erwachsenenalter erreicht – menschliche Gedanken tendieren grundsätzlich schon zu Pessimismus, das sollte man nicht noch anheizen (vgl. Mihaly Csikszentmihalyi, Glücksforscher)
  • Achtsamkeitsübungen (gegen zB. Grübeln)
  • regelmäßige Reflexion zur Psychohygiene
    Dankbarkeits- oder Demuts-Übungen zur Relativierung, das Verlassen der Opferrolle, Verantwortungsübernahme, die Suche nach der Realität – ein emotional stabiler Mensch erfährt mehr Wohlbefinden
  • einmal im Jahr eine arbeitsfreie Zeit von 3 Wochen
  • und noch so vieles mehr…

Durch Bewusstsein sind wir gelegentlich in der Lage, uns von genetischen Zwängen und äußeren Anreizen zu befreien und eigene Entscheidungen zu treffen. Wenn wir uns mehr Gesundheit, Miteinander und heilsames Verhalten wünschen, müssen wir Energie dafür verwenden. Und dazu zählt auch Verzicht.